Befähigen statt komplett digitalisieren

HZ Insurance Podcast – 16.9.2022

Sophie Hundertmark:
Herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe des HZ Insurance Podcast der HZ Insurance in Kooperation mit dem Institut für Finanzdienstleistungen in Zug (kurz IFZ). Mein Name ist Sophie Hundertmark und ich begrüsse heute Andri Mengiardi, er ist der CEO und Co-Founder von esurance. Ich habe schon ganz viel Spannendes von diesem Unternehmen gehört, gerade was die Kultur und Mentalität angeht und umso mehr freue ich mich heute auf diese spannende Ausgabe. Hallo Andri und danke für deine Zeit.

Andri Mengiardi:
Danke für die Einladung. Schön darf ich hier sein.

S. H.: Wahrscheinlich gibt es einige Zuhörer, die gar nicht wissen was esurance eigentlich ist und deshalb bitte ich dich, kurz zu erzählen, was ihr so macht und was deine Aufgabe als CEO und Co-Founder ist.

A. M.: Sehr gerne. esurance betreibt eine konfigurierbare IT-Plattform, die den Versicherungsvertrieb im Bereich von KMUs einfach, digital und persönlich macht. Unser Team besteht aus 35 Mitarbeitenden und wir betreiben einerseits Whitelabel-Lösungen für mehrere Versicherer und aber auch zwei Branchenlösungen, bei denen unser Brand auftritt. Konkret verbinden wir KMUs, Versicherungen und Technologiepartner sowie auch die Vertriebsorganisationen dahinter. Wir stellen den Endkunden, die alles selber machen möchten, die entsprechende digitale Wegstrecke zur Verfügung. Für die Mehrheit der Endkunden, die nicht den ganzen Weg digital gehen möchten, haben wir ein hybrides Modell entwickelt bei dem die KMUs auch Zugriff auf die klassische Versicherungsberatung erhalten.

S. H.: Da waren jetzt einige Fachausdrücke dabei, bei denen ich genauer nachfragen muss. Du sagst digital und persönlich, bei vielen Personen entsteht da denke ich ein Fragezeichen, wie kann digital auch persönlich sein. Kannst du vielleicht erläutern wie du das gemeint hast?

A. M.: Natürlich, im Fachjargon heisst das Omnichannel. Wir kennen das grundsätzlich aus dem  e-commerce. Mit der vollen Kundenzentrierung entsteht die Wechselwirkung zwischen digital, also etwas selber machen, und persönlich, also jemanden dazu nehmen, ob physisch oder durch einen digitalen Kommunikationskanal.

S. H.: Du erwähnst den Endkunden, wen meinst du genau mit Endkunde?

A. M.: Endkunden sind schlussendlich die Unternehmerinnen und Unternehmer. Wir fokussieren uns ja auf die kleineren KMUs und die Einzelunternehmer, sprich rund 90% des KMU-Marktes. Zu den Unternehmen gehören natürlich auch dessen Mitarbeiter, denn gerade im Kontext von Versicherungen ist es da ja zum Beispiel im Bereich Vorsorge schwierig abzugrenzen, was betrifft jetzt das Unternehmen und was betrifft den privaten Teil der Mitarbeitenden. Wir fokussieren uns auf diese Fragestellungen, haben aber keine direkte Beziehung zu den Endkunden, wir bieten ja lediglich die IT-Landschaft an Partner an. Also wir operieren in einem B2B2C Geschäftsmodell.

S. H.: Seid ihr nur in der Schweiz tätig oder europaweit?

A. M.: Nein, wir fokussieren uns nur auf den Schweizer Markt. Der ist schon genug komplex und hat aus unserer Sicht auch genug Potenzial.

S. H.: Ihr seid schon seit 2013 auf dem Markt. Du als einer der Gründer, was hat dich damals auf diese Idee der Vertriebsplattform gebracht?

A. M.: Also die ursprüngliche Idee war nicht von mir sondern von einem Mitgründer, nämlich von Giles Magnin. Er wollte damals eine Art e-banking für Versicherungen bauen. Aus der Idee ist dann einer der ersten digitalen Versicherungsordner entstanden und ich selber bin erst im 2016 zu esurance dazugestossen. Der Grund war einfach, ich hatte 10 Jahre Erfahrung in der Assekuranz und dann 10 Jahre Erfahrung im e-commerce gesammelt. Im Handel habe ich den Wandel miterlebt und war davon überzeugt, dass diese Digitalisierungs- und Automatisierungswelle auch den Versicherungsindustrie erreichen wird. Deshalb bin ich dann bei esurance eingestiegen.

S. H.: Das ebanking für Versicherungen, das hört sich irgendwie so logisch an. Wart ihr die ersten oder gibt es da auch noch andere Player die solch eine Lösung im Schweizer Markt anbieten?

A. M.: Grundsätzlich ist man nie gerne die einzigen, wenn wir die einzigen wären würde es nicht gut um uns stehen. Unser jetziges Hauptprodukt ist die konfigurierbare Vertriebsplattform, und da sind unsere Mitbewerber einerseits die grossen ICT Anbieter, die Softwarefirmen die für Versicherer und Broker entwickeln, oder auch die IT-Abteilungen der Versicherer und Broker selbst. Natürlich gibt es im Ausland noch weitere InsurTechs, die Ähnliches machen wie wir. Schlussendlich kommen wir zurück zur Einstiegsfrage, das Thema Omnichannel, ich glaube es ist nicht eine Frage des „machen oder nicht machen“, sondern eher eine Frage des „make or buy“, sprich entwickle ich es selbst oder kaufe ich diese Dienstleistung bei eine Spezialanbieter ein. Wer kundenzentriert Versicherungen vertreiben will kommt nicht mehr um das Thema Omnichannel herum. Die permanente Wechselwirkung zwischen digital und analog muss man heute meistern können.

S. H.: Wer sind denn nun eure typischen Kunden, wie verdient ihr euer Geld?

A. M.: Also unsere typischen Kunden sind Versicherer und/oder Broker und unser Geld verdienen wir hauptsächlich mit SaaS Lizenzen und Transaktionsgebühren, in Zukunft vielleicht auch durch Mikrotransaktionen. Was heisst das konkret? Aktuell sind wir an einem Proof Of Concept mit Klara.ch. KLARA ist eine Businesssoftware für KMUs, die starkes Wachstum verzeichnet. Über 30 neue KMUs nutzen täglich diese Art ERP-System, mit dem sie alles mögliche Administrative erledigen können. Warum ist diese Kooperation spannend, auch im Hinblick auf wie wir Geld verdienen? Via KLARA erhalten wir Zugriff auf die sogenannten Micromoments. Micromoments sind die Momente, in denen sich ein Unternehmer im Kontext von Versicherungen informieren will, Entscheidungen treffen will, eine Handlung tätigen will/muss oder etwas kaufen will/muss. Wenn wir nun dort unsere digitale und hybride Sales-Journey clever einbinden entstehen ganz neue Modelle, wie ich mit dem Kunden interagieren kann. So können wir in der gesamten Customer Journey einen Mehrwert schaffen. Hier können Mikrotransaktionsgebühren im Rappenbereich für Informationen, die dann wieder im Kontext für die Kundenzentrierung genutzt werden können, durchaus interessant sein.

S. H.: Zu den Saas Lizenzen, gibt es da etwas zum Pricing, das du noch sagen kannst?

A. M.: Wir differenzieren uns insofern, dass unsere technische Lösung konfigurierbar ist. Was heisst das konkret? Der Mehrwert besteht darin, einen kurzen Time-To-Market und tiefe Eintrittskosten für Versicherer und Broker zu ermöglichen. Viel tiefer, als wenn sie das selbst entwickeln würden. Wir sprechen da bei einer digitalen Journey mit einem Produkt von ungefähr CHF 50’000, und das ist im besten Fall innerhalb von 3 Wochen in einem Whitelabel-Format online. Das Thema muss man jedoch immer sehr individuell anschauen. Was ist das Bedürfnis, was ist der Use-Case, wie soll es in den Vertriebskontext integriert werden?

S. H.: Ihr bietet spezifische Branchenlösungen an, ich fand die Auswahl der Branchen recht interessant. Warum macht ihr das, wie seid ihr darauf gekommen?

A. M.: Das ist relativ simpel: Weil wir ein analoges Ökosystem aus den 70er Jahren digitalisiert haben. Gastrosuisse, also der Branchenverband der Gastronomie in der Schweiz, stellt sicher, dass es für seine Mitglieder gute Lösungen gibt. Es gab Zeiten in den 70er und 80er Jahren, da wollte der Versicherungsmarkt die Branche nicht wirklich versichern. So ist dieses analoge Ökosystem aus einer Not entstanden. Heute sind über 95% aller Gastronomen Mitglied bei dem Verband, also ca. 20’000 Betriebe. Wir haben die Produkte Krankentaggeld, Unfallversicherung, die Ausgleichskasse sowie die Pensionskasse und Produkte wie die Sach-, Haft- und Betriebsausfallversicherung digitalisiert. Dadurch konnten wir die Marktposition dieser Versicherungen, konkret GastroSocial, SWICA und Baloise, stärken. Das Ökosystem gab es also in den grössten Teilen bereits, wir haben es ausgebaut und auf der Produktseite sowie auf der Beraterseite stärker vernetzt. Dieser Case hat wirklich am Besten funktioniert für uns, da haben wir jetzt in den letzten Jahren schon fast 30% Marktanteil gewonnen.

Mit einem digital only approach hätten wir diese Leistung wahrscheinlich nicht erreicht. Der Erfolgsfaktor war wirklich diese starke Kundenzentrierung und diese Wechselwirkung zwischen digital und analog im Beratungsprozess.

S. H.: Ist es generell ein Erfolgsmerkmal bei neuen InsurTechs, dass sie den Kunden ins Zentrum stellen anstatt sich selbst?

A. M.: Absolut, das ist unsere Chance und je grösser man wird, desto schwieriger wird es auch, da sich die Strukturen ebenfalls verändern. Ich beobachte vor allem, dass die neuen Player, die technologisch orientiert sind, sehr stark diesen Weg verfolgen. Das ist meiner Meinung nach der einzige Weg, neue Modelle und Ansätze zu kreieren, die funktionieren.

S. H.: Seit 2019 ist die SWICA bei euch beteiligt. Wie kam es dazu und warum habt ihr das gemacht?

A. M.: Damals hat es strategisch für beide Unternehmen Sinn gemacht. Treiber davon war vor allem dieser Gastronomie Case, den wir zusammen mit GastroSuisse, GastroSocial, SWICA und Baloise umgesetzt haben. Die Gründer von esurance sind auch drei Jahre nach dieser Beteiligung immer noch vollmotiviert on Board, das zeigt, dass es die richtige Entscheidung war. esurance operiert komplett unabhängig von SWICA, das möchten auch beide Seiten so weiterhin. Wir sind eine Art Speedboat, das ausserhalb von diesen grossen Strukturen wie sie bei SWICA existieren, agiert. Dadurch können wir eine eigene Kultur aufbauen und auch eine andere Art von Talents anziehen.

S. H.: Was verstehst du unter eine andere Art von Talents?

A. M.: Als kleines Team von 35 Personen besteht einfach eine andere Kultur als bei einer SWICA mit 2’000 Mitarbeitenden. Das kann beim Rekrutieren ein Asset sein.

S. H.: Was war so dein allergrösstes Learning in dieser Zeit?

A. M.: Da gibt es so viele, schwierig zu sagen ich habe diese noch nie in einer Skala kategorisiert. Wenn ich etwas nennen muss, ist es die wiederkehrende Erkenntnis, dass es noch sehr viel Zeit benötigt, bis Versicherungen wirklich gekauft werden anstatt dass sie verkauft werden müssen. Das ist für mich das grösste Learning und gleichzeitig eine unserer grössten Challenges. Die grosse Chance besteht darin, dass wir in naher Zukunft kontextuell in einem Prozess wie beispielsweise einer Business Software Möglichkeiten aufzeigen können, warum es Sinn machen könnte und welche möglichen Wege es gibt, eine Deckung zu kaufen. Das ist natürlich hoch komplex und für das braucht es sicherlich noch einiges an Zeit.

S. H.: Schlüsselwort Fachkräftemangel. Was meinst du, ist es für euch schwieriger gute Kunden zu finden oder gute Mitarbeitende?

A. M.: Gute Mitarbeitende zu finden war schon immer schwierig, für mich ist das kein neues Phänomen. Die Challenge, die wir konkret haben, ist es gute IT-Engineers zu finden. Dafür gibt es wirklich weltweit mehr Nachfrage als Angebot, schon fast 3:1. Da muss man neue Wege gehen, wenn man diese Talente rekrutieren will. Alle reden von Automatisierung und Digitalisierung, jemand muss das aber auch entwickeln. Dort sind wir auch beim Thema Kultur, wie baue ich eine Unternehmung auf die Nachhaltig organisch in sich funktioniert. Wir haben jetzt im Case der IT-Engineers den Talent Pool weiter aufgemacht, wir nutzen die Remotemöglichkeit und suchen in ganz Europa Talente.

5 kurze Fragen:

Das letzte Mal, dass ich eine Versicherung in Anspruch genommen habe war:
Diesen Sommer, als ich die Grösse des Wohnwagens unterschätzt habe in Italien.

Ich bilde mich weiter, indem:
Ich meiner Neugierde nicht nur Zeit und Raum geben, sondern auch mit Taten folge. Die steilsten Lernkurven habe ich in meinem Leben beim „Tun“ erlebt. Aktives Zuhören – Listen and Learn.

An meinen Wochenenden mache ich:
Oft verbringe ich Zeit mit der Familie, manchmal in Kombination mit Freunden. Oft in der Natur, entweder in Zürich oder im Engadin. Sport, Bike, Snowboard – überall dort wo es wenig Leute und Skilifte hat.

Wenn ich mir einmal etwas besonderes gönne, dann:
Designermöbel

Wenn ich koche, dann koche ich:
Agil, ich mache den Kühlschrank auf (Den Backlog 😉 ) und setzte auf Kreativität. Es kommt meistens sehr gut.